Die Allee

Filmgespräch
am 30.10. um 19:00 Uhr

Der Regisseur Sven Boeck ist anwesend.

Infos

Deutschland 2024
Regie: Sven Boeck
Drehbuch: Sven Boeck
Kamera: Mathias Tschiedel, Sven Boeck
Musik: Hans Schanderl
Schnitt: Sven Boeck
94 min

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Berliner Kinostart

"Eine Reise vom Alexanderplatz bis zur Lichtenberger Brücke durch die Allee im Osten Berlins: Die Karl-Marx-Allee in Berlin ist ein international bedeutsames Ensemble von Architektur.

Ebenso groß ist ihre Bedeutung für die Geschichtsschreibung von Deutschland.
Und diese Allee hat mich mein Leben lang begleitet. Als Kind war sie Teil meines Schulweges. Meine Tante Lotte wohnte in ihr. Ich war häufig in der Karl-Marx-Buchhandlung.
Als junger Filmemacher machte ich meinen ersten längeren Dokumentarfilm über sie.
Dreißig Jahre später fahre ich jetzt jeden Morgen mit dem Fahrrad durch die Allee zur Arbeit. Meine Bewegung durch die Straße ist auch eine Bewegung in der Zeit.

Mein erster Film über die Allee (1991, 30 Minuten) war eine Bestandsaufnahme, den Spuren und Relikten des gerade untergegangen DDR-Systems nachforschend. „Die Miete hat immer denselben Preis gehabt, von Anfang an bis heute: 37 Mark und 35 Pfennig, war wie im Märchen“ sagt Margarete Petersilie am Ende des ersten Filmes. Sie klopfte wie tausende anderer Frauen die Steine aus den Bombentrümmern, gewann dann in der Aufbaulotterie eine Wohnung zur Miete in der Allee. Damals sollten hier aus den Kriegstrümmern die "Paläste für die Arbeiter" entstehen. Die Allee wurde in Stalinallee umbenannt, die Bauten der Architekten im ironisch gebrochenen Zuckerbäckerstil, dabei in ihrer Würde nicht nur deklarativ. Doch Brecht zum Architekten Henselmann, als der ihm im Auto durch „seine“ Alle fährt, äußert nachdenklich: „Wenn man bedenkt, dass man das alles nun wieder abreißen muss“. Der Volksaufstand vom 17. Juni begann in der Stalinallee.

Der jüngere (zweite) Bauabschnitt zwischen Alex und Strausberger Platz wird zunehmend in seiner Rolle für die DDR-Moderne erkannt. Keine „prononcierte Gemütlichkeit“ wie zuvor, sondern „Häuser wie muntere Fregatten auf großer Fahrt“. Wenn da nicht an den Festtagen ebendort in der Allee die Tribüne mit den Machthabern, vor denen die Bevölkerung vorbei defilieren musste, die freie Fahrt nie wirklich aufkommen ließ.

Die Allee führt als Radiale aus der Stadt hinaus, vorbei an den Gebäudekomplexen des MfS (Hauptverwaltung und Bezirksverwaltung), am Horizont stehen als Fluchtpunkt Natur, Feld, Pilze im Wald oder der Bahnhof Lichtenberg, der wie die Allee in den Osten führt. Die Allee - eine Straße im Urstromtal - auf einer Seite der Allee hügelt sich der Barnim auf- unten auf der Allee strömt der Puls der Autos, eine immerwährende Bewegung. Aus ihren Wohnungen vom Rand der Bewegung, blicken die Bewohner. Ihr Heim, Schutz und Hoffnung, illusionäre Perlen von Konstanz im Bewegen der Zeit.

Das Märchen ist lange aus. Meine damaligen Protagonisten sind tot. Wie die gestorbene Utopie. Aber auch die wehe Hoffnung der Wende. Warum wuchs daraus eine Narbe? Fragen in die Zukunft gerichtet. Auf dem Vergangenen stehend, kauernd, am Saum des Hauses, in das Licht und Dunkle der Zukunft blickend, ist unsere Gegenwart ein Sprung oder ein Fall durch die Zeit." Sven Boeck