Last Days

Vorstellungen vom 03.05.2007 bis zum 16.05.2007.

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Der introvertierte junge Rockmusiker Blake haust mit seinen Bandkollegen in einem entlegenen Haus. Auf der Suche nach Inspiration zu neuen Songs zieht es ihn immer wieder hinaus in die Natur. Seine Manager und Freunde versuchen, ihn noch einmal zu einer einträglichen Welttournee zu bewegen. Doch Blake lässt sich treiben.

LAST DAYS ist eine hypnotisierende Hommage an Kurt Cobain. Kaum ein anderer Rockstar der 90er Jahre hat eine gesamte Generation junger Menschen so geprägt wie der Leadsänger der US-amerikanischen Grunge-Band Nirvana. Im April 1994 nahm er sich das Leben, und bis heute kursieren die wildesten Gerüchte über seinen Tod. Gus Van Sant – mit Filmen wie TO DIE FOR, GOOD WILL HUNTING oder ELEPHANT Meister seines Fachs – ist eine in ihrem Minimalismus großartige Variation der letzten Tage Cobains gelungen.

"Nach Gerry und Elephant vollendet Gus Van Sant mit Last Days seine Trilogie über das Sterben. Angelehnt an die letzten Tage von Kurt Cobain, taumelt der Musiker Blake in langen und stillen Einstellungen dem Tod entgegen.
„It’s better to burn out than to fade away“, es ist besser zu verglühen als langsam zu verblassen. Mit diesem Satz, von Neil Young entlehnt, beendete der Nirvana-Sänger Kurt Cobain seinen Abschiedsbrief, bevor er sich am 8. April 1994 im Zenit seiner Karriere erschoss. Ein Satz wie aus dem Bilderbuch, um sich in die Galerie der frühzeitig verstorbenen Rockstars einzuschreiben und ewig Ikone zu bleiben. Ein Satz, der sich wunderbar als Schlusswort für den Lebensroman Cobains eignet, wie er schon oft in zahlreichen Publikationen erzählt wurde: schwere Kindheit, genialer Musiker, kometenhafter Aufstieg, Leiden am eigenen Ruhm, Drogenabhängigkeit, Selbstmord, noch größere Verehrung durch die Fans, Verschwörungstheorien. Kurzum, die perfekte Storyline für ein rock‘n’roll-romantisches Biopic, wie es zum Beispiel Oliver Stone für Jim Morrison entworfen hat (The Doors, 1991). Aber es ist ein schiefer Satz, denn das plötzliche Verglühen des Stars verdeckt das schleichende Verblassen der tatsächlichen Person, die sich hinter der öffentlichen Figur verbirgt.

Gus Van Sant legt in Last Days, dem ersten Spielfilm über Kurt Cobain, dieses langsame Schwinden offen, indem er, anders als die dokumentarischen Pendants Kurt & Courtney (1998) und Kurt Cobain: About a Son (2006), von den Fakten Abstand nimmt. Er liefert keine biografische Nacherzählung, kein Porträt und keine Erklärungen, sondern imaginiert frei die letzten Lebenstage eines fiktiven Musikers, die an Kurt Cobains Ableben erinnern. Die Ähnlichkeiten sind zunächst vor allem optisch: Blake gleicht Kurt Cobain auf den ersten Blick wie ein Zwilling: Die schulterlangen blonden Haare hängen ihm wirr ins Gesicht, sein Kleidungsstil liegt irgendwo zwischen lässig und nachlässig. Seine Villa und insbesondere das Gartenhaus, der Ort des Selbstmordes, sehen aus wie Cobains Anwesen in Seattle. Aber erst nach und nach begreift man, dass Blake der Frontmann einer bekannten Band ist und dieser Position zu entrinnen versucht.

In langen Einstellungen und mit langsamen Fahrten folgt die Kamera dem vor sich hin summenden Mann auf seinen Streifzügen durch den nahe gelegenen Wald oder beobachtet ihn, wie er durch sein Haus schleicht, immer darauf bedacht, keiner der anderen anwesenden Personen zu begegnen. Betritt sein Manager das Haus, flieht er gar zurück in den Wald, um nicht entdeckt zu werden. Ansonsten ist eine Flucht nicht nötig, denn seine bei ihm wohnenden Freunde und Bandkollegen beachten ihn kaum. Obwohl Blake derjenige ist, von dem alle abhängen, ist er für sie wie ein Unsichtbarer und wird, wenn überhaupt, ausschließlich in seiner Funktion als gewinnbringender kreativer Kopf der Band wahrgenommen, der zur nächsten Tournee überredet werden muss. Es scheint, als sei er nur noch Hülle, als sei ihm seine Persönlichkeit aberkannt worden. So wird auch der einzige freundschaftliche Moment des Films, als sein Bandkollege Luke einen Rat bei Blake einholen will, jäh unterbrochen. Blake bleibt stumm und durchscheinend wie ein Gespenst.

Allein der Kamera entgeht Blake nicht. Sie registriert seine Bewegungen meist aus der Distanz, verfolgt seine Ausflüge in die Natur, beobachtet ihn bei alltäglichen Verrichtungen, zum Beispiel bei der Zubereitung einer Schüssel Rice Crispies, und zeigt wie er durch seine Villa huscht, die innen genauso verfällt wie Blake selbst. Die Erzähltechnik von Gus Van Sants letzten beiden Filmen Gerry (2002) und Elephant (2003) aufgreifend, wechselt die Kamera teilweise sogar die Perspektive und durchbricht die Chronologie der aneinander gereihten Ellipsen der Geschichte, um das Geschehen zunächst aus dem einen Blickwinkel, dann aus dem anderen aufzunehmen. Doch so sehr sie Blakes Handlungen minutiös einfängt, nie nimmt sie Blickkontakt mit ihm auf. Entweder sie zeigt Blakes Herumirren in Totalen, sein torkelnder Körper klein und verloren unterwegs im Wald, oder aber sein Blick wird von Haaren und den Nebeln seines permanenten Dämmerzustandes verstellt. Trotzdem gewinnt Blake mit jeder Einstellung mehr an Kontur: Durch die Häufung der desolaten Szenen entsteht das Bild eines lautlos schreienden Menschen, der nur mit einem Musikinstrument in der Hand seine Stimme zu erheben vermag. Der Tod ist bereits da, bevor er eintritt.

Wie schon in Gerry und Elephant verwendet Gus Van Sant in Last Days die Mittel der Fiktion, um einen medial ausgeschlachteten Todesfall zu interpretieren. Dabei geht es ihm nicht um das Ereignis selbst, sondern darum, ein poetisches Psychogramm des jeweiligen Ereignisses zu skizzieren. Zwar kulminieren die Handlungen mit dem Tod in der Wüste in Gerry, dem Massaker an der High School in Elephant und Blakes Selbstmord in Last Days, das eigentliche Spektakel jedoch offenbart sich in der präzisen Seismografie der Stimmungen, die den Weg bis zur tatsächlichen Tat säumen. So ist auch Last Days weniger ein Film über das wilde Leben eines Rockstars als ein beeindruckender Film von Gus Van Sant - und eine Hommage an den langsam verblassenden Kurt Cobain." / critic.de - Kritik von Marguerite Seidel

USA 2005, 96 Min., R: Gus Van Sant, Mit: Michael Pitt, Lukas Haas, Asia Argento, Scott Green, Nicole Vicius u.a.