Walk the Line

Vorstellungen vom 25.05.2006 bis zum 07.06.2006.

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Die Initialen teilt er mit Jesus, seine Fans verehren ihn wie einen Heiligen, jetzt ist der Man in Black tatsächlich auferstanden - im Kino: James Mangolds grandios besetzter Film "Walk The Line" zeigt, wie die Country-Ikone Johnny Cash zur moralischen Instanz wurde.

Folsom Prison, CA, 1968: Johnny Cash steht der Schweiß auf der Stirn. Geistesabwesend fährt er im Backstage-Bereich mit dem Daumen über die Zacken einer Kreissäge. Alle warten auf ihn, brüllen, johlen, der Lärm ist infernalisch. Die Mitglieder der Begleitband "The Tennessee Three" blicken sich nervös um. Wo bleibt er? Lange können sie die Meute aus Mördern, Vergewaltigern und Schlägern mit ihrem Rockabilly-Rhythmus nicht mehr zurückhalten. Boom-Chicka-Boom! Der Saal bebt, doch Cash ist mit seinen Gedanken weit weit weg, in den dreißiger Jahren in Dyess, einem Baumwollpflücker-Kaff in Arkansas.

"Walk the Line", gedreht von James Mangold ("Cop Land") erzählt, wie Johnny Cash durch die Hölle ging und geläutert zurück kam. Der Film konzentriert sich auf Cashs wildes Leben bis zum Ende der sechziger Jahre, als er, ganz Pillenwrack und Schnapsfass, energisch seiner späteren Ehefrau June Carter hinterher hechelte. Ausgangs-, End- und unbestrittener Höhepunkt der Biographie-Verfilmung ist das legendäre Knast-Konzert in Folsom.

Schon die ersten Minuten machen deutlich, dass Joaquin Phoenix die perfekte Besetzung als "Man in Black" ist. Es mag Schauspieler geben, die dem jungen Johnny Cash ähnlicher sehen. Aber kein Darsteller seiner Generation wirkt so verletzlich und innerlich zerrissen. Vielleicht, weil Phoenix wie Cash früh seinen geliebten, älteren Bruder verloren hat. River Phoenix starb 1993 an Drogen, Jack Cash 1944 bei einem Unfall mit einer Kreissäge. Vielleicht ist Phoenix auch einfach der beste Cash, weil er mit diesen wohl schwärzesten Augen des Filmgeschäfts jeden auf sanfte Art zu durchbohren vermag.

Reese Witherspoon, die Cashs große Liebe und spätere Ehefrau June Carter spielt, hält mit Südstaaten-Mutterwitz dagegen. Sie stammt ohnehin aus der Country-Hauptstadt Nashville und wirbelt durch den Film wie eine brave Hausfrau in der Küche. Das mag bieder wirken, aber bis Cash kam und in Songs "Männer erschoss, nur um zu sehen, wie sie sterben" ("Folsom Prison Blues"), war Country eben eine Welt der alten Werte und einfachen Wahrheiten.

Der 2003 verstorbene Johnny Cash genehmigte Phoenix noch persönlich. Er habe ihn als Kaiser Commodus in "Gladiator" so sehr bewundert, dass er sich gerne von ihm verkörpern lassen wollte. Phoenix nahm sich diese Weihe zu Herzen, lernte Gitarre spielen, studierte 25 Cash-Songs ein und legte seine Stimme durch mehrmonatiges Training um einige Lagen tiefer. Denn eines war Bedingung: Er und Reese Witherspoon sollten selbst singen! Was im ersten Moment wie ein Sakrileg erscheint - schließlich ist vor allem Cashs Grabes-Bass einzigartig und unverwechselbar - entpuppt sich im Nachhinein als kühne und wunderbare Idee. Statt einfach zu imitieren, interpretieren Phoenix und Witherspoon Cashs Songs und verleihen ihnen ihre eigene Note. Das ist rauher, intimer und unmittelbarer als wenn zum Playback penibel einstudierte Gesten abgespult würden. Die Live-Auftritte gehören folglich zu den Highlights des Films.

spiegel online, Olaf Schneekloth

"herausragend" (tip)

USA 2005, 136 Min., B+R: James Mangold, Mit: Joaquin Phoenix, Reese Witherspoon, Robert Patrick u.a.