Road to Guantanamo

Vorstellungen vom 20.10.2006 bis zum 08.11.2006.

Infos

M. Winterbottom

Michael Winterbottom erzählt die Geschichte dreier muslimischer Briten, die über zwei Jahre lang in dem amerikanischen Lager auf Kuba gefangen gehalten, verhört und gefoltert wurden, ohne dass ein Beweis für ihre terroristische Aktivität existiert hätte. Der Fall der „Tripton Three“ hat sich tatsächlich zugetragen – vielleicht so, wie sie ihn selbst schildern, vielleicht anders.

Der Film operiert mit Interviews, Nachrichtenschnipseln, wackeligen Bildern in gekonnt dilettantischer Manier und simuliert so Nähe. Er bemühe sich nicht um die Wahrheit, nehme für bare Münze, was ihm die drei jungen Männer erzählen, werfen Kritiker dem Regisseur vor. In der Tat: Manches, was die drei berichten, wirkt abenteuerlich. Zweifel wären angebracht.

Doch Winterbottom macht wenig anderes als die eingebetteten Journalisten der Nachrichtensender: Er nimmt, was er kriegt, lässt weg, was nicht passt. Dabei beansprucht er nicht die Wahrheit, macht Kino, nicht die Tagesschau. Trotzdem wirkt der Film glaubwürdiger als mancher Fernsehbericht, denn wenigstens verhehlt er seine Parteilichkeit nicht. Von den ersten Minuten an ist klar, auf wessen Seite er steht.

Und ganz gleich, ob ihm die drei Burschen ihre Arglosigkeit in die Tasche gelogen haben: Für Winterbottom besteht kein Zweifel, dass über Schuld oder Unschuld nicht Folterknechte zu befinden haben. Ein leidenschaftliches Pamphlet gegen Guantanamo, gegen die Aushöhlung demokratischer Verabredungen und gegen die amerikanische Politik.

Kathrin Wesely

Silberner Bär, Berlinale 2006

Die große Anklage

Michael Winterbottoms umstrittener Film »Road to Guantanamo« verbindet Spielfilm- und Nachrichtenbilder zu einem großen Vorwurf.
Vier junge Briten, aufgewachsen in einem Vorort von Birmingham. Die Eltern stammen aus Pakistan und Bengalen, die Mutter des einen hat in der alten Heimat eine passende Braut ausfindig gemacht, und so reisen die vier seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder nach Pakistan: einkaufen, abhängen, die Hochzeit des Kumpels feiern. Aus diesen vieren sind später die Tripton Three geworden, über die auch die deutsche Presse berichtete, weil sie zwei Jahre lang ohne Anklage und Verfahren in Guantánamo festgehalten wurden. 2004 kamen sie frei. Ende 2001 waren sie im Norden Afghanistans aufgegriffen und festgesetzt worden, einer von ihnen war da bereits umgekommen, im Raketenhagel auf Kandahar. Noch vor dem Hochzeitsfest waren die Freunde nämlich auf die Idee verfallen, sie könnten doch für einige Zeit rüber nach Afghanistan, den Leuten dort »helfen«; wenige Tage später begann der Krieg.

Die Medienberichte über die Tripton Three waren es, die das Interesse Michael Winterbottoms weckten. Road to Guantanamo ist nicht der erste Film des britischen Regisseurs, der unmittelbar auf ein aktuelles politische Geschehen reagiert und ein Drama, das in den Abendnachrichten nur kurz angetippt werden kann, in einer Mischung aus dokumentarischen und gespielten Szenen auf die Leinwand bringt. Das Elend afghanischer Flüchtlinge beispielsweise, die sich von Menschenhändlern nach Westeuropa einschmuggeln lassen, hatte Winterbottom 2002 in In This World bearbeitet. Und eigentlich ist es genau das, was man sich von engagierten Filmemachern oder Journalisten wünscht: dass sie der kurzen Schreckensmeldung einen politischen Hintergrund, den Opfern ein individuelles Gesicht, dem Drama seine Tiefe geben.

Doch gute Absicht hin oder her – Michael Winterbottoms Film über die jungen Männer auf der Road to Guantanamo hat seine Schwächen. Es beginnt damit, dass man die vier jungen Männer, die von vier bildhübschen britischen Darstellern gespielt werden, nicht auseinander halten kann: zum einen weil sie eben alle so gleichermaßen hübsch sind, und zum zweiten, weil das Gesicht eines jeden immer nur einzeln oder kurz gezeigt wird. Bis zum Schluss weiß man daher nicht, wer von ihnen ursprünglich heiraten sollte, wer es war, den diese furchtbare Magen-Darm-Grippe erwischte, mit der sich der Film so ausgiebig beschäftigt, wer schließlich verwundet wird oder gar stirbt.

Immer wieder fragt man sich: Ist das nun gestellt, oder echt? Nachgespielte Kriegs- und Gefängnisszenen wechseln sich ab mit – vermutlich authentischen – Ausschnitten aus der damaligen Berichterstattung, die den »Krieg gegen den Terror« euphemistisch begleitete. Aber gerade bei den zynischen Äußerungen eines Militärsprechers wäre es wichtig gewesen, unmissverständlich deutlich zu machen, dass es sich hier um die Realität der militärischen Public Relations handelt, die die Phantasie des Filmemachens noch überbietet. Überhaupt bleibt vieles im Unklaren, darunter die nicht ganz unwesentliche Frage, weshalb die jungen Männer überhaupt nach Afghanistan gingen – wie haben sie sich ihre »Hilfe« denn vorgestellt? Unter heutigen Kinogängern dürfte es kaum jemand geben, der das System Guantánamo gutheißt; und so bestünde keine Gefahr, das Vorgehen der Militärs und Folterer auch nur ansatzweise zu rechtfertigen, wenn »helfen« hier eventuell »kämpfen« hieße. Stattdessen wird die Anreise der jungen Männer – inklusive einer, wie erwähnt, unglaublich langen Magen-Darm-Problematik – episch in die Breite gezogen, bis sie ihrem Höhepunkt so schleichend entgegenklettert wie der marode, überladene afghanische Reisebus einem dubiosen Quartier in den Bergen. Ganz schön geschmacklos, wenn der Höhepunkt dann kein bloßes Kinofeuerwerk ist, sondern realer Krieg!

Und doch, trotz allem, was man an Road to Guantanamo bemängeln kann, und das ist so viel und so auffällig, dass man beim Zuschauen ab und zu vor Ärger aufjault – der Film wird seinem Anliegen gerecht. Denn so wie sich seine Fehler auflisten lassen, sind die Fehler, die nahe gelegen hätten, die er aber vermieden hat, kaum weniger zahlreich. Guantánamo wird nicht zur einen, einzigen Chiffre für das Böse schlechthin, es sind nicht nur die Amerikaner, die die Menschenrechte mit Füßen treten, die Gefängnisaufseher sind nicht ausschließlich herzlos – aber selbst wenn sie einmal Herz zeigen, kippt die Szene nicht ins Kitschige. Afghanistans Berge werden uns als rau und erhaben gezeigt, Pakistans Städte als lebendig, menschlich, als verdreckt und bedauernswert; doch es ist nicht das Pakistan, wie es Touristen, sondern vielleicht wirklich die Jungen aus Tripton, Birmingham gesehen haben. Mit derselben Selbstverständlichkeit beobachten wir diese Jungen, wie sie beten, essen, lachen, warten oder auf dem Klo hocken.

Als die afghanische Nordallianz die drei Briten und andere vermeintliche Taliban-Kämpfer festnimmt, fängt die lange Kette von Misshandlungen an. Und wenn den Gefangenen ein Sack übers Gesicht gestreift wird, wenn sie in ihren Fesseln humpeln, wenn sie in Panik gegen die Wände des Transporters schlagen, erwachen halb vergessene Bilder, die wir noch aus den Nachrichten kennen, zum Leben, rütteln andere Bilder wach, sodass man schließlich das gesamte Bosheitspotenzial der Menschheit darin erblickt; wir haben das Massengrab im Hindukusch vor Augen, aber auch die Menschenschmuggler im Eurotunnel, die Deportationen heutiger und vergangener Unrechtsregime, wir sehen diese gewisse Mutwilligkeit eines Menschen, dem zu viele andere Menschenleben anvertraut sind und der einfach ausprobiert, wie viele überleben, wenn er sie wie Dreck behandelt. An dem halben Dutzend, die übrig bleiben, werden der Gefängniswärter, der Geheimdienstler oder der Offizier dann ihre perfideren, systematischeren Foltermethoden erproben.

In Road to Guantanamo wird dem Zuschauer nicht eingehämmert, wie er über eine bestimmte Regierung zu denken hat, er wird in allgegenwärtiges Niemandsland entführt. Mit seiner ganzen Huschigkeit, mit seinem Mangel an ästhetischer Form und mit seinem immer im falschen Moment sich regenden Hang zum Anekdotischen schafft es der Film dennoch nicht, das zu erzählende Leben zu erdrücken oder zur politischen Botschaft erstarren zu lassen. Sich auf die Suche nach einer solchen Botschaft zu machen, sich dann aber zu öffnen, sodass etwas viel Wilderes, Schlimmeres einbrechen kann: Das muss die heimliche Kunstfertigkeit des Michael Winterbottom sein.

Hilal Sezgin, DIE ZEIT, 21.09.2006 Nr. 39

GB 2006, 95 Min., R: Michael Winterbottom, Mat Whitecross, Mit: Farhad Harun, Arfan Usman, Rizwan Ahmed u.a.