Ich. Immendorff
Infos
Er war Deutschlands berühmtester Chronist, wie kaum ein anderer hat er sich jahrelang intensiv an der deutschen Geschichte auf der Leinwand abgearbeitet: der Düsseldorfer Maler Jörg Immendorff. Immendorff provozierte und polarisierte gleichermaßen – als Künstler, als Mensch, als Macho und als Mann der Boulevard-Schlagzeilen.
Am 28. Mai 2007 verstarb er nach langer Krankheit in Düsseldorf an Herzversagen. Fast 10 Jahre litt der Maler an der Nervenkrankheit ALS, die zum völligen Erlahmen seiner Arme und Beine führte. Der Dokumentarfilm ICH. IMMENDORFF begleitet den Künstler knapp zwei Jahre bis zu seinem Tod. Intime Beobachtungen während seiner Arbeit im Atelier mit seinen Assistenten, die in den letzten Jahren den Pinsel für ihn führten, Besuche von Freunden wie dem Schriftsteller Tilman Spengler oder dem Maler Jonathan Meese, sowie seine Arbeit als Professor an der Kunstakademie Düsseldorf zeigen Immendorff als einen Menschen, der immer nach Auseinandersetzung strebt und bis zum Schluss die künstlerische Herausforderung bis an die eigene Belastungsgrenze suchte.
Im Mittelpunkt seiner öffentlichen Präsentation steht in diesem Zeitraum eine waghalsige und provozierende Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin 2005: die Retrospektive „Male Lago“ wird die größte und wichtigste Ausstellung seines Lebens. Aber auch der private Immendorff, Ehemann der über 30 Jahre jüngeren Künstlerin Oda Jaune ist im Film präsent. Oda Jaune spricht über ihr Leben mit dem unbequemen Künstler, über die Faszination und das gemeinsame Leiden an der Krankheit, die Krise des Komas und das ewige Hoffen. Freunde und Wegbegleiter wie die Künstler Markus Lüpertz und Franz Erhard Walther, sowie seine Galeristen Michael Werner, Bruno Brunnett und Nicole Hackert, Museumsdirektor Kasper König, aber auch sein Arzt Dr. Thomas Meyer kommen in ICH. IMMENDORFF zu Wort.
Der Film blickt aber auch zurück und zeigt, wie aus Immendorff der geworden ist, der er war. Erstmals überhaupt vor der Kamera schildert seine Mutter Irene Immendorff, wie sie ihren Jungen in der Nachkriegszeit groß zieht, welche Wirkung die Scheidung vom notorisch fremd gehenden Vater und schließlich der spätere Selbstmord auf den sensiblen Immendorff hatten. Auch seine künstlerische Laufbahn begleitet die Mutter von Anfang an.
Mit 18 Jahren als jüngster Student überhaupt fängt er an der Kunstakademie Düsseldorf an zu studieren, wechselt schnell von der Bühnenklasse zu Joseph Beuys. Eine Begegnung, die ihn ein Leben lang prägen wird. Beuys wird zum Vaterersatz, zur künstlerischen Instanz, zum Vorbild und Widerpart. In den 60er Jahren gründet Immendorff die „Lidl“-Akademie als Gegenstück zu den traditionellen Strukturen der bestehenden Akademie.
Aktionen und Performances, Sportereignisse und schließlich das politische Engagement links außen prägen sein Leben bis in die 80er Jahre, das er gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau, der Künstlerin Chris Reinecke führt. Auch sie äußert sich erstmals vor der Kamera zu dieser Zeit. Sein Bilderzyklus „Café Deutschland“ geht in den 80er Jahren in die deutsche Kunstgeschichte als provozierendes Chronistenwerk ein. A.R. Penck, rebellischer Maler und Freund aus der DDR, wird in dieser Zeit zu einem wichtigen Begleiter und Counterpart. Die beiden arbeiten zusammen und denken über ein neues ungeteiltes Deutschland nach. Die folgende enge Freundschaft zu seinem Malerkollegen Markus Lüpertz wird ebenfalls eine Lebensphase ausmachen: die des Machos, der mit Lederkluft und viel beringt die legendäre Künstlerkneipe „La Paloma“ in der Hamburger Reeperbahn eröffnet, Treffpunkt für Luden und Künstler, Prominente und Politiker.
Ende der 90er Jahre schließlich ändert sich alles, als Immendorff an der tödlichen Krankheit ALS erkrankt. Mit den Jahren erlahmen Arme und Beine und fesseln ihn an den Rollstuhl. Assistenten übernehmen sein malerisches Werk und folgen seinen Anweisungen. Mehr und mehr geraten die politischen Themen in den Hintergrund und werden durch die existentielle Lebenserfahrung ersetzt. Doch seinen Beruf als Akademieprofessor gibt er niemals auf, junge Menschen zu fordern und fördern ist ihm ein wichtiges Anliegen. Schließlich wird der ewige Provokateur Immendorff zum Kanzlermaler: sein goldenes Schröder-Portrait sorgt für Schlagzeilen. Wenige Wochen nach der Präsentation stirbt Immendorff an Herzversagen.
ICH. IMMENDORFF portraitiert den Maler und Künstler als einen Mann, der zum Nachdenken auffordert, der einen direkten Einblick in das künstlerische Schaffen gibt und für den Kunst und Leben untrennbar miteinander verbunden sind.
KURZBIOGRAFIE JÖRG IMMENDORFF
geb. 1945 Bleckede bei Lüneburg, gest. 2007 Düsseldorf
Immendorff studiert 1963/64 zunächst Bühnenkunst an der Düsseldorfer Kunstakademie und wechselt dann in die Klasse von Joseph Beuys. Angeregt durch seinen Lehrer verfasst er mehrere Manifeste und initiiert diverse künstlerische und politische Aktionen. Am bekanntesten wird das "Lidl"-Projekt 1968-70 - Kunstaktionen, Happenings und Debattenrunden, den dem politischen Flügel der Fluxus-Bewegung zuzuordnen sind. 1977 wendet sich Immendorff, angeregt vor allem von den Werken Renato Guttusos, verstärkt der Malerei zu.
Mit der politisch und gesellschaftskritisch engagierten Bildserie "Café Deutschland" gelingt ihm der internationale Durchbruch. Daneben ist er auch im Bereich Kunstpädagogik tätig. 1971 bis 1980 arbeitet er als Kunsterzieher an der Lindemann-Hauptschule in Düsseldorf aus.
In den 1980er Jahren nimmt der Künstler mehrere Gastprofessuren an internationalen Universitäten an: 1981 an der Kunsthochschule in Stockholm, 1982 an der Akademie der bildenden Künste in Hamburg und der "Klasse F+F" in Zürich sowie 1984 an der Werkschule in Köln und der Akademie der Bildenden Künste in München.
Neben der Malerei widmet er sich auch dem Bühnenbild und entwirft 1986 er die Kostüme zu "Elektra" von Richard Strauss, die am Bremer Stadttheater aufgeführt wird. 1994 folgen Bühnenbild und Kostüme zu der Oper "The rakes progress" von Igor Strawinsky im Rahmen der Salzburger Festspiele. Immendorff ist auch als Bildhauer tätig. Für Aufsehen sorgt das Projekt "Elbquelle", eine 25 Meter hohe Skulptur, die 1999 in Riesa (Sachsen) eingeweiht wird.
Seit den siebziger Jahren ist Immendorff auf wichtigen Ausstellungen vertreten. 1972 und 1982 nimmt er an der documenta in Kassel teil, 1976 an der Biennale von Venedig. 1983/84 ist er auf der großen Wanderausstellung "Expressions: New Art from Germany" vertreten, die u.a. durch New York, Philadelphia, St. Louis, Oslo und Malmö tourt.
1997 sind seine wichtigsten Werke auf der Ausstellung "Deutschlandbilder: Kunst aus einem geteilten Land" in Berlin zu sehen.
Große Einzelausstellungen finden u.a. in New York, St. Petersburg, Peking, Köln und Chicago statt. (Quelle: www.kettererkunst.de)
D 2007, 98 min, R: Nicola Graef, DVD Projektion